Die Wintersaison ist im vollen Gange und der nächste Ausflug auf die Piste ist schon…
Jeder kennt sie – aber kennt man sie wirklich? Europas Feriendestination Nummer Eins erweist sich als traumhaft schönes Wander- und Radrevier voller Überraschungen. Unternehmt mit uns einen kurzen Streifzug durch die sieben Regionen der 3.684 Quadratkilometer großen Mittelmeerinsel.
Hier kommen fast alle an: Der Aeroport Son Sant Joan in der Nähe von Palma de Mallorca zeigt sich als Labyrinth endloser Betonpisten und ebensolcher Gänge durch die Flughafengebäude, die zu Fuß beziehungsweise auf Förderbändern durchquert werden müssen. Die meisten Gäste fahren gleich zu ihren Urlaubsquartieren weiter – nicht wenige zu den nahen Hotels an der Platja de Palma, die das gängige Ferienbild Mallorcas am nachhaltigsten geprägt haben. Hier begann um 1960 die touristische Erfolgsstory der Insel und damit ein Bauboom, der bis heute anhält. Die Nächte sind lang und laut zwischen Can Pastilla und S’Arenal, doch der vier Kilometer lange, feinsandige und sehr kinderfreundliche Strand lässt keine Urlauberwünsche offen.
Ganz anders die ciutat – „die Stadt“, wie die Mallorquiner ihre quirlige Metropole einfach nennen. Zwischen ihren verwinkelten Gassen und geschäftigen Einkaufsstraßen hat sich die wechselvolle Inselgeschichte in unzähligen großen und kleinen Sehenswürdigkeiten eingraviert. Neben den wenigen Spuren der arabischen Ära (902 – 1229), den noblen Patios (Innenhöfe) der Stadtpaläste und verspielten Modernisme-Fassaden, den katalanischen Ausformungen des Jugendstils, tritt immer wieder die prachtvolle gotische Kathedrale La Seu („der Sitz“ des Bischofs) ins Bild. Sie zählt zu den schönsten Sakralbauten Europas. Vormittags leuchtet die Sonne durch die 1.236 farbigen Glasstücke der größten Fensterrosette der Welt (12,55 m Durchmesser) in das 118 m lange und 43,5 m hohe Gebäude.
Die Baumeister des 14. und 15. Jahrhunderts widmeten ihre Kunst aber nicht nur dem Herrn des Himmels, sondern auch den Herrschern der Welt: Das kreisrunde Castell de Bellver entstand als Bollwerk der Macht und war jahrhundertelang als Kerker gefürchtet. Die reichen Händler wiederum gaben den Bau einer repräsentativen Börse in Auftrag. Sie steht in der Nähe des Hafens, beherbergt heute Kunstausstellungen und bildet ein Gravitationszentrum für Palmas buntes Nachtleben.
Auch der Südwesten Mallorcas hat sich zu einem großen Urlaubsrevier entwickelt. Zwischen der Serra de na Burguesa und der Insel Dragoinera liegen die bei deutschen Gästen so beliebten Destinationen Santa Ponça und Peguera, während die Engländer traditionell in Magaluf unter sich bleiben. Das tun hier übrigens auch die Reichen und Schönen, und zwar vor allem in Portals Nous und in Port d’Andratx. Gut, dass wenigstens Sant Elm vor der Insel Dragonera für Individualisten erhalten geblieben ist. Da wie dort prägen zergliederte Felsabstürze und kleine Sandbuchten die Küste am Aufschwung des Gebirgszugs der Serra de Tramuntana. In der Serra de Tramuntana thront übrigens ein Bergdorf mit dem biblischen Namen Galileia – es ist das höchstgelegene der Insel.
Die spektakulärsten Landschaftselemente hat die Erdgeschichte im Nordwesten Mallorcas hinterlassen. Dort bildet bis zu 300 Millionen Jahre altes, aus Meeresablagerungen entstandenes Gestein ein achtzig Kilometer langes, zehn bis zwanzig Kilometer breites Gebirge. Die Serra de Tramuntana bildet das Rückgrat der Insel, das an mehr als vierzig Stellen über tausend Meter Seehöhe aufragt. Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel, doch die tektonischen Urkräfte und die Erosion des Wassers haben eine vielgestaltige, stellenweise von herrlichen Steineichenwäldern bedeckte, aber auch von bizarr verwitterten Felsen, tiefen Schluchten und einer spektakulären Steilküste gegliederte Landschaft geschaffen, die durchaus Assoziationen mit den Alpen weckt.
Mallorcas großes Gebirge ist bis heute in weiten Teilen menschenleer geblieben. Neben seinen größeren Orten – Esporles und Valldemossa, Deià sowie die beiden besten Touren-Ausgangspunkte Sóller und Pollença – findet man hier sogar eine Gemeinde ganz ohne Dorf: Escorca im wilden Bergland um das Kloster Lluc, das wichtigste Heiligtum der Insel.
Auswärtige nehmen den schmalen Landstreifen südöstlich der Serra de Tramuntana kaum als eigene Landschaft wahr. Trotzdem bildet die Achse Palma, Binissalem, Inca und Alcúdia, die schon die beiden wichtigsten Römersiedlungen verbunden hat, das Herzstück Mallorcas. Hier verlaufen die wichtigsten Verkehrsverbindungen, hier prosperiert die Inselwirtschaft abseits des Tourismus. An Wasser besteht ebenfalls kein Mangel – im Norden, zwischen Muro und Alcúdia, liegt das riesige, als Naturpark geschützte Feuchtbiotop s’Albufera. Und die starken Quellen, die am Fuß des Gebirges entspringen, haben schon die Araber genutzt. Sie gründeten große bäuerliche Anwesen und legten prachtvolle Gärten wie die Jardins d’Alfàbia (bei Esporles) an.
Im Winter ein Meer von rosa und weiß blühenden Mandelbäumen, im Frühling grüne Wiesen, im Sommer und Herbst abgeerntete Felder in allen Brauntönen – das sind die Farben des Pla, der zentralen, 600 km² großen Inselebene. Ebene? Das Gebiet zeigt sich eher sanft hügelig und wird von einigen höheren Kuppen überragt. Auf einigen davon haben sich Einsiedler sesshaft gemacht, später entstanden dort Klöster und Wallfahrtskirchen wie etwa auf dem Bonany oder auf dem Puig de Randa. Dort hat Mallorcas „heimlicher Heiliger“, der Philosoph, Forscher und Missionar Ramón Llull, eine Zeitlang gelebt. Dazwischen liegen kleine Dörfer, in denen das Arbeitsjahr wie ehedem seinen altgewohnten Gang geht: Ariany und Costitx, Llubí oder Sencelles – eine eigene Welt, unendlich weit vom Strandrummel entfernt.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt das Küstenland östlich von Felanitx, Manacor (der zweitgrößten Stadt Mallorcas) und Artà im Nordosten als Armeleutegegend. Heute erfreut sich die Ostküste höchster touristischer Beliebtheit. An den meisten Sandstränden, die sich oft in kleine, von Felsen begrenzte „Fjorde“ schmiegen, wurden intensiv – oft zu intensiv – mit Hotels und Apartmentanlagen erschlossen. Die längste Strandmeile besitzt die Feriensiedlung Cala Millor, während Cala Figuera und Portocolom, Portocristo und Cala Rajada relativ ursprüngliche Hafenorte geblieben sind. Ziemlich einsam ist der nur bis fünfhundert Metern Seehöhe aufragende und aus mehreren Einzelmassiven bestehende Bergzug der Serra de Llevant geblieben – er grenzt das Küstenland gegen die Inselebene es Pla ab.
Nirgendwo auf der Insel ist es so heiß wie hier, in keiner anderen Gegend fällt so wenig Regen. Doch der Migjorn, Mallorcas sonnenverbrannter Süden, bietet noch viel Ursprüngliches – Reste prähistorischer Talaiots wie in Capocorb Vell, die alten Salinen im „Hinterland“ des unverbaut gebliebenen Sandstrandes es Trenc und liebenswerte Orte, die jedoch – wegen der einstigen Piratengefahr – verschlossen wie Festungen wirken. Touristisches Leben pulsiert hier nur in wenigen Orten, etwa in Colònia de Sant Jordi oder zwischen den eleganten Ibizastil-Häusern an der Cala d’Or. Platz gibt es zwischen dem Cap de ses Salines, dem „Südkap“ der Insel und dem heiligen Berg von Randa jedenfalls genug. Das zeigt etwa das Städtchen Llucmajor, das über die größten Gemeindefläche Mallorcas verfügt.