Wir starten die Tour am Bahnhof Ottersberg. Durch stille Geestlandschaften mit moderatem Auf und Ab geht es nach Rotenburg. Die Rückfahrt nach Ottersberg folgt dem weiten Wümmetal.

Von der Ritterburg zum Hochschulstandort

Vom 01 Bahnhof Ottersberg führt ein separater Radweg über den Südarm der Wümme zum Amtshof Ottersberg. In etwa hier lag eine erstmals im 9. Jahrhundert erwähnte Burg, die im Laufe der Jahrhunderte umkämpft war, mehrfach zerstört und wieder aufgebaut wurde. Schlussendlich blieb der Amtshof. Das Renaissance Gebäude entstand im 16. Jahrhundert. Seit 1946 ist das Baudenkmal Rudolf-Steiner-Schule. Ottersberg lag wohl einst ebenfalls zwischen den Wümmearmen rund um die Burg, wurde aber auf die Nordseite verlegt. Wir queren die Brücke und fahren durch den Ort, der seit Mitte der 60er Jahre Hochschulstandort ist. Die "Hochschule für Künste im Sozialen" bietet ihren etwa 500 Studierenden vier Bachelor Studiengänge kunsttherapeutischer und -pädagogischer Richtung an.

Geest

Wir verlassen den Flecken durch eine Wohnstraße, die in einen schönen Radweg mündet und an einem großzügigen Insektenhotel vorbei durch Felder, Wiesen und kleine Wäldchen nach Reeßum führt. Das kleine Geestdorf hockt beschaulich unter alten Eichen abseits von Hauptverkehrsverbindungen. Im Ortsteil Clüversborstel etwas nordöstlich unserer Strecke stand an der Wieste, einem Nebenflüsschen der Wümme, die nächste Burg, die im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Die heute ruhige Gegend gehörte im Mittelalter zum Erzbistum Bremen und war bis in die Neuzeit immer wieder umkämpft. Nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschte Schweden, später Dänemark, Hannover und dann Preußen .

Niederdeutsches Hallenhaus

Wir queren die A1, erreichen Sottrum und nehmen den Weg durch den historischen Ortskern zwischen der Kirche St. Georg und Heimathaus. Das Niederdeutsche Hallenhaus ist ein typisches Zweiständerhaus und stammt aus dem benachbarten Hassendorf. Hinter dem Haus ist ein Bauerngarten angelegt, der ebenso wie die ganze Anlage etwas akkurater ausfällt, als das Leben wohl jemals war. Die Kirche aus dem 17. Jahrhundert mit ihrem weit älteren Turm ist eine "Offene Kirche an Radwegen". Das bundesweite Konzept garantiert nicht nur alltäglichen Zugang zur Kirche, sondern bietet radfahrpraktisch unter anderem Trinkwasser, Toiletten und Lademöglichkeiten für E-Bikes. Für ein Päuschen oder den Provianteinkauf bietet Sottrum rund um den Ortskern Leckereien, etwa im 02 Aka Zien Café & Bistro. Wir queren die verkehrstrubelige B75. Als Chaussee wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts als Verbindung zwischen Bremen und Hamburg gepflastert.

Von der Geest nach Amerika

Wir nehmen den Hassendorfer Kirchweg und fahren nach Waffensen. Lange Jahrhunderte war das bäuerliche Leben auf der Geest mit ihren mageren Böden von Armut, Unfreiheit, Ausbeutung und häufigen Plündereien durchziehender Heere geprägt. Die Höfe ernährten kaum mehr als ihre Bewohner. Viele mussten sich saisonal als Hollandgänger verdingen oder wanderten nach Amerika aus. Erst die Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft Anfang des 19. Jahrhunderts, die verbesserte Infrastruktur und der Kunstdünger brachten Wohlstand in die Dörfer. Mit dem Zugriff auf neue Ressourcen gingen aber seit den 50er Jahren auch die Eigenheiten der Dörfer verloren. Während die alten Bauernhäuser mit dem gebaut wurden, was in der Nähe verfügbar war, verliert sich mit dem Zugriff auf Baustoffmärkte die Eigenständigkeit. Waffensen aber hat sich viel seines regionaltypischen Gepräges erhalten können.Wir überqueren die Gleise der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gebauten Wanne-Eickel – Hamburg Bahn, der Hauptverbindung Bremen – Hamburg, und fahren parallel zum Bahndamm der Strecke Bremervörde – Rotenburg. Die Regionalstrecke hatte für die landwirtschaftliche Entwicklung der Region eine hohe Bedeutung. Der Personenverkehr wurde in den sechziger Jahren eingestellt.

Rotenburg

Danach kurven wir durch den Wald am Rand des Wümmetals nach Rotenburg. Die Kreisstadt im Niederungsgebiet von Wümme, Rodau und Wiedau hat eine lebendige Innenstadt rund um die Stadtkirche. Den Namen verdankt die Stadt wahrscheinlich der Burg des Erzstift Verden, die entweder in einem namensgebenden Rodungsgebiet lag oder aus rotem Ziegelstein gebaut war. Erinnerung und Mahnmal ist die 2010 gegenüber der Stadtkirche als Museum zur Geschichte des Judentums in Rotenburg neu aufgebaute 03 Cohn-Scheune. Das Haus gehörte zum Anwesen der jüdischen Textilhändlerfamilie Cohn und stand kaum 100 Meter weiter. 1934 mussten die Cohns unter dem Druck der Nationalsozialisten ihren gut etablierten Textilhandel aufgeben. Haus und Eigentum wurde ihnen genommen. 1939 flüchteten die Cohns nach Berlin, waren dort zu Zwangsarbeit verpflichtet, bevor beide 1943 nach Auschwitz deportiert wurden. Es ist unbekannt, ob sie den Transport nicht überlebten oder in den Gaskammern ermordet wurden. Ihre beiden jüdischen Hausangestellten kamen in den Lagern Minsk und Treblinka um. Das Museum ist Mahnmal und ein seltenes Fenster, das den Blick auf jüdisches Leben im Elbe-Weser-Dreieck erlaubt.

Wümme-Wein

Wir verlassen Rotenburg und folgen der Wümme auf der Südseite nach Unterstedt zum 04 Wein Gut Wümme. Wirklich! 2009 wurden hier die ersten 99 Reben gepflanzt. Seitdem der Anbau von Wein in Niedersachsen 2016 offiziell genehmigt wurde, kamen weitere 999 Rebstöcke dazu. 2021 fand die erste Lese statt. Das Deutsche Weininstitut in Mainz beobachtet das verwegene Treiben, das der Klimawandel ermöglicht, mit Interesse.

Ahauser Mühle

Vom Wein ist es nicht mehr weit bis Ahausen, wo einer der mutigen Winzer praktischerweise Wümme Wein in seinem Weinladen WeinAtelier13 verkauft. Gute Laune macht auch die 05 Ahauser Schnitzerin, an deren Atelier wir vorbeikommen. Wir fahren durch den Laubwald bis zur Ahauser Mühle. Malerisch liegen die Mühlenbauten am Teich. Von dort rollen die Räder flugs nach Hellwege. An der Wümmebrücke empfiehlt sich ein Stopp bei 06 Kaisers Gasthof mit Sommergarten unter alten Eichen und Storchennest direkt am Fluss.

Egypten ist nicht weit

Weiter geht es auf dem gut zu fahrenden Schotterweg entlang der Wümme, der uns wenige Kilometer weiter an die Landstraße nach Posthausen bringt. Dort überqueren wir die Straße, nehmen den Bremer Damm und fahren über die A1 nach Egypten. Die Landstraße kreuzen wir und schlagen einen Bogen fast bis Fischerhude. Entlang des Wümme-Mittelarmes kehren wir durch die weite Wiesenlandschaft zurück nach 01 Ottersberg Bahnhof. Seit 1991 gehört der alte Bahnhof dem Kulturverein "Bahnhof e.V. Initiative neues Wohnen", der Wohnraum für wenig Geld bietet.

Pionier-Wein